Jean-Luc Godard ist 90 Jahre alt

Diverses 3. Dezember 2020

Jean-Luc Godard, der die Cinémathèque suisse seit über 60 Jahren begleitet, feiert am 3. Dezember seinen 90. Geburtstag. Wir wissen zwar, dass er auf Feierlichkeiten nicht sonderlich erpicht ist, dennoch scheint es uns angebracht, diese Gelegenheit zu nutzen, um ihn zu grüssen und ihm für alles zu danken, was er uns gebracht hat – und weiterhin bringt: Betrachtungen über den Film und im weiteren Sinn auch über die Wahrnehmung von Bildern in der heutigen Zeit.
Ende 2018 wurde sein neuester Spielfilm, Le Livre d’image, – Gewinner einer «Palme d’or spéciale» –, im Rahmen einer Installation auf einer grossen Videoleinwand im Théâtre Vidy-Lausanne präsentiert. Parallel dazu und auf Initiative des Filmemachers bot die Cinémathèque suisse der Öffentlichkeit eine Auswahl seiner Filme an. Im Cinéma Capitole projizierten wir auf der Grossleinwand eine der seltenen 35-mm-Kopien von Histoire(s) du cinéma – Morceaux choisis, einen von Godard angefertigten 90-minütigen Neuschnitt seiner Histoire(s) du cinéma. Anschliessend zeigten wir im Cinématographe die fünf «Wegbereiter» und Vorläufer von Le Livre d’image in chronologischer Reihenfolge, gewissermassen die fünf Finger der Hand, auf die er im Film anspielt: For Ever Mozart, Eloge de l’amour und Notre musique im 35-mm-Format, gefolgt von Film socialisme, der digital gedreht und projiziert wurde, und Adieu au langage in 3D digital aufgenommen und vorgeführt.
Im folgenden Jahr erwies uns Jean-Luc Godard die Ehre und begleitete uns auf die Bühne des Paderewski-Saals im Casino de Montbenon, wo er in Anwesenheit seines Freundes Freddy Buache den FIAF-Preis 2019 entgegennahm, den ihm die Internationale Vereinigung der Filmarchive (FIAF) anlässlich ihres in Lausanne stattfindenden 75. Kongresses verlieh. Er widmete diesen Preis der britischen Kritikerin, Programmgestalterin und Archivarin Iris Barry (1895–1969), die in den 1920er-Jahren zur Gründung der London Film Society beitrug und später, ab 1935, die erste Direktorin der Abteilung Film des Museum of Modern Art in New York wurde.
Im Frühjahr 2020, als der Lockdown uns zur Häuslichkeit zwang, liess Jean-Luc Godard die breite Öffentlichkeit auf Instagram an einem langen Gespräch mit dem Filmemacher Lionel Baier teilhaben, das uns als Ode an das Leben und an die Vernunft in Erinnerung bleiben wird, in einer Welt, die von Angst, Lügen und Verleugnung geprägt ist.
Im Januar und Februar möchten wir drei Werke ins Programm aufnehmen, die unseres Erachtens sein grosses kulturelles Wissen und seine auch heute noch moderne Sicht auf das Filmschaffen aufzeigen. Eine Möglichkeit, sein Kino, aber auch die Geschichte und den Film im Allgemeinen neu zu lesen. Zunächst Bande à part (1964), ein leichter Film Noir voller Energie und Humor, der die legendäre Durchquerung des Louvre im Laufschritt zeigt und nach wie vor eines der schönsten Kleinode aus jener Zeit ist. Allemagne année 90 neuf zéro (1991) schildert ein Deutschland nach dem Mauerfall und Lemmy Caution von Alphaville, eine desillusionierte neue Lesart der Geschichte in Germania anno zero von Roberto Rossellini. Und schliesslich wird sein neuester Spielfilm, Le Livre d’image (2018), erstmals im Kino zu sehen sein, mit einer für den Anlass adaptierten Tonspur.
Frédéric Maire

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