Zum Tod von Pio Corradi

Diverses 25. Januar 2019

In der Nacht vom 1. Januar ist er von uns gegangen. Mit 78 Jahren lässt der Zürcher Kameramann Pio Corradi die Filmbranche einfach im Regen stehen. Er war ab den 1970er-Jahren bis heute einer der prägendsten Bildgestalter unseres Landes. L’ombrello di Beatocello von Georges Gachot (2012) über die Arbeit von Beat Richner sowie Citizen Khodorkovsky von Eric Bergkraut (2015) trugen seine Handschrift, um nur zwei der neueren, stark beachteten Filme zu nennen.

Während seiner Karriere führte Pio Corradi die Kamera in über 100 Schweizer Spiel- und Dokumentarfilmen, darunter dem wohl wichtigsten des Schweizer Kinos wie Höhenfeuer von Fredi Murer (1986), der von professionellen Filmkritikern immer wieder als einer der bedeutendsten Schweizer Filme betrachtet wird. Übrigens erhielt Corradi 2018 den Schweizer Filmpreis für die beste Kamera in Köhlernächte von Robert Müller, einem Film über die Arbeit der Köhler im luzernischen Bramboden. Ausserdem erhielt er 2016 den Deutschen Ehren-Kamerapreis für sein Lebenswerk.

Der am 19. Mai 1940 im Kanton Baselland in eine ursprünglich aus Mantua stammende Steinhauerfamilie geborene Pio Ante Corradi studierte an der Kunstgewerbeschule Basel und liess sich anschliessend zum Fotografen ausbilden. 1964 kam er nach Zürich und arbeitete einige Jahre als Assistent, bevor er freischaffender Kameramann wurde. Dank seiner ausgeprägten Fähigkeit, sich an die unterschiedlichsten Arbeitsbedingungen anzupassen, wurde er ab den 1970er-Jahren schon bald zu einem gefragten Mitarbeiter mehrere Dokumentarfilmer, namentlich Richard Dindo, Hans-Ulrich Schlumpf, Alexander Seiler, Werner Schweizer, Ulrike Koch, Iwan Schumacher und Stefan Schwietert.

Er gestaltete die Bilder in Die Salzmänner von Tibet (1997) von Ulrike Koch, einem der erfolgreichsten Dokumentarfilme der Schweiz, wie auch in Der Kongress der Pinguine (1993) von Hans-Ulrich Schlumpf, bei dem Pio und sein Mitarbeiter Philippe Corday einen jungen Biologen in die Handhabung der 35-mm-Kamera einführten. Jener Biologe war niemand anderer als Luc Jacquet, der spätere Regisseur von Die Reise der Pinguine. Auf der Webseite von H.-U. Schlumpf sind einige sehr amüsante Bilder dieser Ausbildung in der Säntisregion zu sehen. Der grosse Meister der Kamera wirkt hier professionell und humorvoll zugleich!

Doch Pio Corradi hielt den Spielfilm nicht für minderwertig und erwies sich in einigen wichtigen Filmen der 1980er- und 1990er-Jahre als Bildkünstler. Beispielsweise in sämtlichen Filmen von Fredi Murer – von Höhenfeuer über Vitus (2006) bis hin zu Liebe und Zufall (2014) – in Der Gemeindepräsident von Bernhard Giger (1983), Candy Mountain von Robert Frank (1987), Reise der Hoffnung von Xavier Koller (1990) und L’ombre von Claude Goretta (1992). Er gestaltete auch die Bilder in zwei Schweizer Kultfilmen der Künstler Peter Fischli und David Weiss: Der Rechte Weg (1983) und Der Lauf der Dinge (1987), letzterer gewissermassen eine Plansequenz einer Aneinanderreihung verschiedenster Kettenreaktionen, ein Film, der heute zu den grossen Werken zeitgenössischer Kunst gehört. Als Regisseur trat er nur ein einziges Mal auf, für Poetry in Motion – Pierre Favre, ein Porträt des Schlagzeugers Pierre Favre (2006).
Wir hatten die Gelegenheit, mehrmals mit ihm zusammenzuarbeiten im Rahmen der Restaurierung von Filmen, in denen er die Kamera führte, namentlich für Ludwig Hohl – Ein Film in Fragmenten (1982) eines anderen Verstorbenen, Alexander J. Seiler, und Die Kleine Freiheit (1978) von Hans-Ulrich Schlumpf. Beide Filme sind auch in den DVD-Boxen enthalten, die den beiden Filmautoren gewidmet sind.
Frédéric Maire
PS : In Erinnerung an seinen Freund und Mitstreiter Pio Corradi hat der Filmemacher Hans-Ulrich Schlumpf auf seiner Website ein schönes Album mit Bildern der Dreharbeiten mit ihm veröffentlicht.

Pio Corradi im Jahr 2002. Sammlung Cinémathèque suisse. Alle Rechte vorbehalten.
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